Phil Garnham über Kreativtrends und die aktuelle Nostalgiewelle.
Phil Garnham, Creative Type Director bei Monotype.
Phil Garnham, Creative Type Director, hat sich jüngst mit Creative Bloom zusammengesetzt, um über die Schrifttrends 2022 zu sprechen und den Einfluss der Schrift im zeitgenössischen Designs zu diskutieren – mit einem speziellen Blick auf die Kraft der Nostalgie.
Kurz zusammengefasst, ist das Monotype Studio der Ansicht, dass sich im Branding gerade „eine Art Kampf zwischen einem sich rasch digitalisierenden Lebensstil und einer gleich starken Sehnsucht nach etwas Greifbarem abspielt“. Dieser Wettstreit wird auf der einen Seite mit neuartigen Schriften bestritten, die sich aktueller Technologien bedienen, um auf modernen Geräten und Plattformen bestens zu performen und diese voranzutreiben. Auf der anderen Seite stellen wir „eine Rückkehr zu den vertrauten, gemütlichen Buchstabenformen vergangener Jahrzehnte“ fest, wie Monotype es ausdrückt, „angetrieben von dem Wunsch nach ehrlichen Verbindungen in einer Welt, die wir zunehmend über Bildschirme erleben.“
Der aktuelle Monotype Trend Report ist in verschiedene Schlüsselthemen unterteilt, die das Monotype Studio bezüglich typografischer Ansätze und Ästhetiken entweder beobachtet hat oder für dieses und die kommenden Jahre vorhersagt. Zu diesen Themen gehören Variable Geschwindigkeit, Nahbare Schrift, Virtuell wird Realität, Kult der Kontraste oder Hand im Spiel. Letzteres bezieht sich auf den Trend der handgezeichneten Schriftzüge und Fonts mit Holzdruck-Texturen: „Schriften, die dich an deinen Gang über den Obstmarkt in der Mittagspause erinnern, an das handgemalte Schild über der Imbissbude oder das Schaufenster des Tante-Emma-Ladens an der Ecke: Erinnerungen an menschliche Konsumerlebnisse, die uns seit der Jugend begleiten.“ so Monotype. Die Experten begründen das so: „In einer vollständig digitalisierten Welt hat dieser Trend Hochkonjunktur, weil sich die Menschen nach etwas Warmem, Vertrautem und Menschlichem sehnen.“
Ein Schlüsselbaustein dieses Trends ist Nostalgie: die sehnsuchtsvolle Erinnerung an vergangene Marken oder Konsumerlebnisse, was durch ein hierzu passendes Schriftdesign ausgelöst wird. Creative Bloom sprach mit Phil Garnham, Senior Creative Type Director bei Monotype, über Nostalgie im Bereich Schriftdesign: Warum sie derzeit so angesagt ist, welche Marken am meisten davon profitieren und wie man eine „Retro“-Schriftfamilie entwickelt.
Es liegt viel Nostalgie in der Luft. Warum ist das so?
Wir erleben gerade eine spannende Zeit in der visuellen Kommunikation. Zoom hat unseren Arbeitstag in immer engere Zeitfenster zerstückelt, in denen die ‚praktische‘ kreative Arbeit stattfindet, wobei die Zeit für die soziale Interaktion der Kreativen immer kürzer wird. Auch unsere Work-Life-Balance bewegt sich in diese Richtung, zwischen Ein/Aus, Pause/Arbeit, Ruhe und Anspannung. Könnte dieses Auf und Ab die Ursache für eine Rückzugmentalität sein? Ich bin mir nicht sicher, aber die Trends in der Markenkommunikation drehen sich meiner Ansicht nach im Kreis.
Wir haben ein reiches typografisches Erbe, das schon immer eine Quelle für Schriftideen war, für Umgestaltung und Neugestaltung. Dennoch gibt es aktuell den Trend, dass Marken über Schrift in einer emotionaleren, nostalgischen Form nachdenken. Das könnte auch eine Abkehr von der geometrischen „digitalen“ Schriftästhetik sein, die fast zwei Jahrzehnte lang dominiert hat.
Phil Garnham, Type Trends Report.
Können Sie uns aktuelle Beispiele für nostalgische Kampagnen oder Markenidentitäten nennen?
Das populärste Beispiel ist wahrscheinlich das Rebranding von Burger King durch JKR, das diese „Weichzeichner“-Ästhetik aufweist. Aber auch viele andere bewegen sich in diese Richtung: Fisher-Price, Mailchimp, Dunkin und Tentree setzen diesen Trend der abgerundeten Serifen der 1920er-Jahre fort. In den kreativen Tech-Sektoren mit Marken wie Twitch, Tweag und Dreamhack sehen wir mit den „Bauklötzchen“-Buchstaben eher den 8-Bit-Minimalismus der 1980er-Jahre, also Bitmap-Schriften, die an die Tage von ZX Sinclair und Atari erinnert.
Bei aller Rückbesinnung nutzen die Marken gerne die neuen, kreativen Möglichkeiten der Variable-Font-Technologie. Das Ergebnis sind zum Beispiel Schriften, die an die avantgardistische Holzbuchstaben-Typografie erinnern, wo ein Kasten mit Schriften unterschiedlicher Breite zusammengeschüttet wurde, um mit ihnen bunte Wörter zu drucken. Die Poster von Paula Scher für das Public Theatre in New York in den 1990er-Jahren bedienen sich dieser Ästhetik, und sie sehen immer noch frisch aus.
Gibt es weitere ästhetische Muster, die aus der Vergangenheit hergeleitet sind?
Unser jüngster Bericht über Schrifttrends hat sich eingehend damit befasst, was Agenturen derzeit in den verschiedensten Branchen und Regionen mit Schrift machen. Vor dem Bericht hatten wir eine ungefähre Ahnung davon, dass sich die Typografie ändert, aber wir wussten nicht, in welche Richtung. Unser Bericht zeigt nun, dass Marken heute mehr denn je nach Unterscheidbarkeit und Authentizität in ihrer visuellen Sprache suchen. In einer abgeschotteten Welt ist die Kommunikation der Marken limitiert, meist auf Kanäle, die die Verbraucher auf rechteckigen Geräten empfangen.
Schrift in der digitalen Welt bedeutet zuallererst informelles Lesen. Erst danach rangieren die visuelle Identität der Marke und die Schaffung eines unterschwelligen Erinnerungswertes. Marken wissen, dass sie mutig sein müssen, um sich von der Masse abzuheben. Unser Trendbericht zeigt, wie sehr Marken danach streben, sich ein unverwechselbares typografisches Profil zu verschaffen und gleichzeitig ein Gefühl von Nostalgie mitzuliefern. Manchmal fühlt sich das auch nur nostalgisch an, je nach Kontext. Wir haben uns daran gewöhnt, Sans-Schriften als „digital“ zu klassifizieren. Wir sind nicht darauf konditioniert, knuffige Serif-Schriften à la Cooper Black (1921) mit „digital“ in Verbindung zu bringen. Sie fühlen sich fehl am Platz an, und genau damit erregen sie Aufmerksamkeit.
Sehen Sie bei Monotype eine Welle nostalgischer Fonts auf den Markt kommen?
Die Schrift bestimmt die Kultur, und die Kultur bestimmt die Schrift. Letztes Jahr haben wir FS Rosa als neue Interpretation des Weichzeichner-Trends herausgebracht, den wir vorhergesehen hatten und der sicherlich noch beliebter wird. Als Kreativstudio haben wir mit Marken zusammengearbeitet, die in diese nostalgische Richtung drängen und das Erbe als etwas Neues wiederbeleben. Es ist eine aufregende Zeit, um mit Schrift zu spielen und die Vorstellungen der großen Marken zum Thema Schrift infrage zu stellen. Natürlich wollen wir Fonts entwickeln, die von den Designern verlangt werden und die Marken brauchen, um an allen Fronten zu überzeugen. Deshalb erwarte ich in den nächsten ein bis zwei Jahren mehr Veröffentlichungen im Retrostil.
Was denken Sie, wie Verbraucher und Nutzer diesen Designtrend aufnehmen werden?
Reine Nostalgie ist kein Trend, der einen Wandel vorantreibt. Sie ist vielmehr ein Vehikel für Empathie in einer Welt, die in schwierigen Zeiten nach Vertrautheit und Trost sucht. Wenn wir uns optimistisch darauf vorbereiten, uns neu auszurichten, uns aus der Umklammerung zu befreien, wird dieses Gefühl der Vertrautheit dazu beitragen, uns zu stabilisieren, zu beruhigen und eine Grundlage für Vertrauen zu schaffen, während wir uns vorwärts bewegen. Ich denke, die meisten von uns mögen Retro-Themen, sodass der neue Trend im Design eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit ausstrahlt. Und das ist es, was die Welt jetzt braucht.
Wann ist eine Schrift Retro?
Ich denke, es beginnt mit einem klassischen Schriftdesigngenre, eines aus einer vergangenen Zeit, aufgeladen mit den damaligen kulturellen Werten. Vertraute Buchstaben sprechen einen auf einer emotionalen Ebene an und sagen: „Erinnerst du dich an damals?“ Da der Trend noch fortbesteht, bin ich neugierig, wie wir diese Buchstaben jetzt neu interpretieren werden: entweder durch eine aktualisierte Architektur der Buchstaben selbst oder durch die Art und Weise, wie wir mit den Retro-Schriften gestalten.